Leopold Samolewitz, geb. 23.11.1883 in Berlin, emigrierte im März 1939 nach Palästina, verstorben am 6.6.1959 in Jerusalem.
Else Samolewitz, geb. Moskiewicz, geb. 15.4.1891 in Berlin, emigrierte im März 1939 nach Palästina, verstorben am 13.3.1975 in Jerusalem.
Kurt Samolewitz, (in Israel: Moshe Zamir), geb. 29.9.1913 in Berlin, emigrierte 1934 in die Schweiz, später nach England, von dort 1936 nach Palästina, verstorben am 21.7.1999 in Jerusalem.
Hans Werner Samolewitz, (in USA: Harvey W. Samo), geb. 23.11.1915 in Berlin–Schöneberg, emigrierte 1936 in die Tschechoslowakei, 1938 nach England, 1947 in die USA, verstorben am 7.4.2009 in Maplewood, Essex County, New Jersey/ USA.
Adresse in Werder: Puschkinstraße 4a
Leopold Samolewitz war das jüngste von fünf Kindern des Ehepaares Rahel und Moritz Samolewitz. Moritz Samolewitz war ein Kleinhändler, der um 1870 aus Gollub, einer Kleinstadt an der damaligen russisch–polnischen Grenze (heute Golub Dobrzyń, PL), über Zwischenstationen nach Berlin gekommen war (L. Samolewitz: »das gelobte Land der Ostjuden«). Zwei der Geschwister von Leopold starben als Kleinkinder und sein ältester Bruder Isidor starb mit 23 Jahren, sodass ihm in seiner Kindheit von den Geschwistern nur der 13 Jahre ältere Bruder Georg blieb.
Der Vater von Leopold hatte es im Berliner Norden unter Schwierigkeiten zu einem bescheidenen Wohlstand gebracht, der dem Sohn eine Gymnasialausbildung und das Universitätsstudium ermöglichte. Nach dem Abitur 1902 studierte er Jura in Berlin und Heidelberg und schloß dieses Studium ab mit dem Referendarexamen und einer Promotion zum Thema: »Über das Wirksamwerden von Willenserklärungen. Zwei Streitfragen«. Seinen Militärdienst leistete er 1902/03 in einem bayerischen Garde–Infanterieregiment. 1911 wurde er zur Rechtsanwaltschaft am Kammergericht Berlin zugelassen. 1912 hat er Else Moskiewicz geheiratet, die beiden Söhne wurden 1913 und 1915 geboren.
Leopold Samolewitz nahm am Weltkrieg teil und war nach einer schweren Verwundung Ende 1914 kriegsdienstuntauglich. Er wurde mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet. Er begann, sich mit Fragen des Kartell– und Vergleichsrechts zu beschäftigen. Aus dieser beruflichen Ausrichtung erwuchs eine umfangreiche Tätigkeit als Syndikus zahlreicher Verbände des Textil– und Holzhandels. Er war Mitglied des Reichsverbandes der deutschen Industrie und des Reichsverbandes des deutschen Groß– und Überseehandels. Seine Rechtsanwalts– und Notariatskanzlei befand sich in der Bayreuther Straße 41, wo die Familie auch wohnte. In der Kanzlei waren bis zu 25 Personen beschäftigt. Sein Kommentar zum »Gesetz über den Vergleich zur Abwendung des Konkurses« (Vergleichsordnung) erschien 1929 in 2. Auflage. Jeden Winter hielt er privat ein Seminar zu Grenzfragen von Recht und Wirtschaft ab.
Leopold Samolewitz war 1903 der Freien Wissenschaftlichen Vereinigung an der Universität Berlin beigetreten, einer bedeutenden liberalen Berliner »anti–antisemitischen« Verbindung. Er blieb dort während der zwanziger Jahre engagiert. Seine Bundesbrüder berichten im Rahmen von Entschädigungsverfahren der fünfziger Jahre davon, dass er dort dem konservativen Flügel angehört habe und sich eindringlich zum Deutschtum bekannt habe. Im übrigen sei er ein »großer Trinker [gewesen], beim Ball ein unermüdlicher Tänzer, und überhaupt machte er jeden Spaß mit«. Bis Herbst 1933 gehörte er außerdem dem Verband National–Deutscher Juden an, der von Max Naumann geleitet wurde.
Der Lebensstil der Familie war nahezu großbürgerlich: erlesenes Mobiliar, Bibliothek, Bilder, eine Sammlung von Porzellanfiguren, Büsten von Leopold und von Ehefrau Else (letztere vom Bildhauer Kolbe). Dazu passte das Sommerhaus in Werder am Glindower See. Die Gegend um Werder lernte die Familie auf Kanutouren am Wochenende kennen. 1925 kaufte Samolewitz das Grundstück Eduard–Lehmann–Straße (heute Puschkinstraße) 4a und ließ nach seinen Plänen ein Sommerhaus errichten. Er beauftragte den Regierungsbaumeister a. D. Walter Croner mit der Bauleitung, also denselben Baumeister, der in der Eduard–Lehmann–Straße auch für Arthur Cohn und Richard Gelhar tätig war. Es umfasste fünf kleine Schlafzimmer und ein Wohnzimmer. Im Jahr 1928 hat Leopold Samolewitz das fertige Haus seiner Frau Else zum Geburtstag geschenkt. Sie hat es mit ihren auserwählten Kunst– und kunsthandwerklichen Sammlungen ausgestattet. Ein ehemaliger Bundesbruder berichtet später von Leopold Samolewitz, dass er in dieser Sommerfrische »mit uns Wurfball [spielte], ruderte, schwamm, und gegen Abend pflegte er große Spaziergänge zu unternehmen«.
Im April 1933 erhielt er zunächst keine Aufforderung zur Einstellung seiner Notariatstätigkeit, weil seine Personalakten keinen Hinweis auf seine Zugehörigkeit zur jüdischen Religion enthalten hatten. Am 1. April 1933 wurden die Verbände gleichgeschaltet, deren Syndikus Leopold Samolewitz bis dahin gewesen war. Er musste alle seine wirtschaftlichen Funktionen abgeben. Dadurch erlitt die Kanzlei erhebliche Einnahmeeinbußen und musste verkleinert werden. Das Ehepaar zog in die Lietzenburger Straße 48. Der Antrag von Leopold Samolewitz auf Belassung im Notariatsamt wurde 1936 abgelehnt. Im November 1938 wurde ihm die Rechtsanwaltszulassung entzogen. Bis zu seiner Auswanderung war er nur noch als »Konsulent« für die rechtliche Beratung und Vertretung von Juden zugelassen.
Das Sommerhaus in Werder wurde am Abend des 11.11.1938 verwüstet, also zwei Tage nach den Zerstörungen der »Kristallnacht«, wie der euphemistische Ausdruck lautete. Frau Samolewitz und die Haushälterin Johanna Tietz befanden sich in dem Haus, sowie Dr. Willy Croner, ein befreundeter Arzt und Bundesbruder von Leopold Samolewitz, der sich in Werder sicherer vor Verhaftung fühlte als in Berlin und am Nachmittag angereist war. Als es klingelte, trat Frau Samolewitz vor das Haus, weil sie ihren Mann zurück aus Berlin erwartete. Statt dessen kam ein gutes Dutzend Männer in den Garten. Gefragt, was sie wollten, bekam Frau Samolewitz zur Antwort, das werde sie gleich sehen. Die Männer holten Äxte und Steine aus ihren Aktenmappen, zerschlugen zunächst Fenster und Fensterläden von außen, und zertrümmerten dann die Inneneinrichtung: Waschbecken, Toiletten, Geschirr, Bilder, Beleuchtungskörper, eine kostbare chinesische Vase. Auf Kommando verließ die Horde das Haus, entdeckte beim Hinausgehen die Telefonleitung, zerschnitt sie und zerstörte das Telefon. Leopold Samolewitz ließ die Beschädigungen jedoch reparieren, weil er immer noch hoffte, dass der »Albtraum des Naziregimes« vorübergehen würde. 1939 mußte die Familie jedoch das Haus weit unter Wert verkaufen.
Mitte März 1939 ist das Ehepaar nach Palästina ausgewandert. Ein Teil der Wohnungseinrichtung wurde in einem Container nach Rotterdam gebracht und sollte dort gelagert werden, bis Anordnung ergehen konnte, wohin der Hausrat geliefert werden sollte. Aufgrund einer Anordnung von deutscher Seite durfte die Spedition den Transport nach Palästina nicht weiterleiten, obwohl er schon bezahlt war. Der Container wurde daraufhin versteigert.
Seine Situation in Jerusalem schildert Leopold Samolewitz im Jahr 1953 mit den Worten: »Ich war ein Mann mit großem Wirkungskreis, gutem Ansehen und erheblichem Einkommen – jetzt bin ich ohne Vermögen und Einkommen und lebe im wesentlichen von dem, was mir unsere Söhne abgeben können, und vom Erlös einiger Sachen, die wir haben retten können«. Dennoch klagt er in seinen Memoiren nicht über den Verlust der »weltlichen Güter« und des Berufs. Wirklich schmerzt ihn, dass sein Bruder Georg und dessen Frau Rosalie von den Nationalsozialisten umgebracht worden sind. Er hält Kontakt mit Bundesbrüdern, die sich haben retten können und die über die ganze Welt verstreut sind. Über den Zusammenbruch seiner großen Praxis hinaus hat ihn die nationalsozialistische Verfolgung besonders hart getroffen, weil seine gesamte deutsch–nationale Gedankenwelt zerstört worden ist. Seine Memoiren sind ein Dokument einer untergegangenen, kulturellen deutsch–jüdischen Symbiose, von der er in Israel im Rückblick sagt, er habe erkennen müssen, dass seine Liebe zu Deutschland einseitig geblieben sei.
Leopold Samolewitz lernt in Palästina Hebräisch, macht sich mit dem englischen, osmanischen und jüdischen Rechtssystem vertraut und erlangte die Zulassung als Anwalt. Sein Hauptarbeitsgebiet nach Kriegsende war die Vertretung von Restitutionsansprüchen jüdischer Emigranten. Beruflich stellt sich in Jerusalem wenig Erfolg ein. Leopold Samolewitz verträgt das Klima in Jerusalem nicht, Asthma und Herzerkrankungen nehmen zu. Im Jahr 1955 ist er »vollständig erwerbsunfähig« und in wirtschaftlicher Notlage. Die Heimat in Deutschland, die es nicht mehr gibt, leuchtet auf, wenn er von einer Europareise in den fünfziger Jahren berichtet: »Das Klima von Berlin bekam mir wieder glänzend. Ich hatte wenig Asthma und dadurch war mein Herz in Ordnung«.
Kurt Moritz Samolewitz beginnt nach dem Abitur 1931 in Freiburg und Berlin mit dem Jurastudium. Am 1.4.1933 reist er mit seinem jüngeren Bruder zu Freunden der Eltern nach Wien, um sich den Repressalien des ersten NS–Judenboykotts zu entziehen. An der Grenze zur Tschechoslowakei werden sie aus dem Zug geholt und verhört; schließlich dürfen sie weiterreisen. Kurt sieht keine Möglichkeit mehr, sein Studium in Deutschland fortzusetzen, und im Ausland wird sein begonnenes Jurastudium nicht anerkannt. So entschließt er sich, eine Hotelfachausbildung in Lausanne / Schweiz aufzunehmen. Er wendet sich wie sein Bruder dem Zionismus zu. 1935 bemüht sich Kurt Samolewitz um die Auswanderung nach Palästina und die Beschaffung von 1000 palästinensischen Pfund »zur Gründung einer Schlosserwerkstatt«. Kurt Samolewitz arbeitet dann aber als Kellner und Bürokraft in der Schweiz, in London, in Dover, in Paris, immer in der Unsicherheit, ob er weitere Arbeitserlaubnis erhält. Als er das erste Mal Trinkgeld erhält, wird ihm das Maß des sozialen Abstiegs deutlich, den er mit seiner Flucht ins Exil hinnehmen musste.
Schließlich wandert er von Berlin aus, wo er sich von seinen Eltern verabschiedet, 1938 nach Palästina aus. Dort setzt sich seine berufliche Odyssee fort, er arbeitet in Hotels, für die englische Armee, im Restaurant der persischen Niederlassung der iranisch–englischen Ölgesellschaft, und schließlich findet er in der Finanzverwaltung des Staates Israel eine Anstellung. Im Jahr 1946 heiratet Kurt Samolewitz in Tel–Aviv eine Emigrantin aus Deutschland, Rose Saenger, deren Eltern in den nationalsozialistischen Lagern umgebracht worden waren. Ihre Kinder heißen Gior, Eli und Miriam. Nach der Gründung des Staats Israel hat Kurt Samolewitz den Namen Moshe Zamir angenommen.
Leopold Samolewitz’ älterem Bruder Georg (geb. 1870) gelang die Emigration nicht. Er wurde zusammen mit seiner Frau Rosalie, geb. Jakobus (geb. 1869) am 17.8.1942 in das »Altersgetto« Theresienstadt deportiert, wo er bereits am 30.8. verstarb, seine Frau wurde von dort am 19.9.1942 nach Treblinka deportiert und ermordet. Für Georg Samolewitz liegt seit 2009 ein »Stolperstein« in Berlin–Moabit, Levetzowstraße 16, für seine Frau offenbar nicht.
Leopold Samolewitz’ Memoiren, auf deutsch niedergeschrieben für seine Enkelkinder, liegen heute – in englischer Übersetzung und mit einer Ergänzung durch seinen Sohn Harvey – im LeoBaeck–Institute in New York; sie sind im Internet zugänglich. Für das Emigrationsschicksal der Familie sind sie die wesentliche Quelle. Sie beleuchten auf eindrucksvolle Weise die Lebensbedingungen und das kulturelle Selbstverständnis einer jüdischen Familie in Kaiserreich, Weimarer Republik und NS–Zeit, ihren wirtschaftlichen und sozialen Aufstieg, die zunächst subtilen, später brutalen Formen der Diskriminierung, schließlich ihre Vertreibung aus Deutschland und die Bedingungen in einem Exil, das für die nachfolgenden Generationen zu einer neuen Heimat wird.
Quellen: BLHA: Rep. 36 A, 3712, Rep. 36 A (II), Nr. 33148, Nr. 33149, Karteikarte, Pr. Br. Rep. 4A, Kammergericht, Personalia 8937, GB Werder Bd. 71, Bl. 2899; Rep. A I LW Reg. Potsdam, Abt. I Land– und Wasserwirtschaft, Nr. 173: Jüdische Grundstücke; BEG–Akten Nrr. 73.619, 73.620 I/II, 75.788; LBI: Poldi’s memoirs (Sign.: Me 1293); SAW: Schadensliste vom 28. 1. 1939, 46.05/001, Bauakte Puschkinstraße 4a, (1925–1933); Adressbücher von Berlin und Werder; Simone Ladwig–Winters, Anwalt ohne Recht. Das Schicksal jüdischer Rechtsanwälte in Berlin nach 1933, Berlin 1998, S. 199; Cornelia Schmalz–Jacobsen, Donata und Eberhard Helmrich, zwei Helfer ohne Eigennutz, in: Wolfgang Benz (Hg.), Überleben im Dritten Reich. Juden im Untergrund und ihre Helfer, München 2003, S. 67–82 (71 f.); Cornelia Schmalz–Jacobsen, Zwei Bäume in Jerusalem, 2. Aufl., Berlin 2013, S. 42 ff.; Manfred Voigts (Hg.), Freie Wissenschaftliche Vereinigung. Eine Berliner anti–antisemitische Studentenorganisation stellt sich vor – 1908 und 1931, Potsdam 2008 (Online–Version).