Alfred Guttmann, geb. 30.7.1873 in Posen (heute Poznań, PL), seit 1920 in Werder ansässig, emigrierte im Mai 1939 nach Norwegen, 1946 norwegischer Staatsbürger, verstorben am 21.12.1951 in Ålesund, Norwegen.
Eva Guttmann, geb. Alschewsky, geb. 30.10.1897 in Storkow/Mark, emigrierte im Mai 1939 nach Norwegen, verstorben 1985 in Sykkylven, Norwegen.
Adresse in Werder: Am Mühlenberg 24
Alfred Guttmann war Sohn des offensichtlich sehr vermögenden Kaufmanns Albrecht Guttmann (1845–1919) und dessen Ehefrau Ernestine, geb. Haenisch. Diesem hatte sein Vermögen u. a. den Kauf einer prächtigen Villa am Kleinen Wannsee und den Erwerb einer berühmten Gemäldesammlung mit Werken der klassischen Moderne ermöglicht; er hatte aber auch beträchtliche Mittel für soziale Zwecke aufgewendet.
Der Sohn studierte nach dem Abitur von 1894–1898 Medizin und Gesang in u. a. Berlin, Kiel, Bonn und München und promovierte 1898 an der Berliner Universität mit einer Dissertation zum Thema »Tabes dorsalis und Syphilis«. Seit 1901 studierte er zusätzlich Psychologie und Musikwissenschaft in Berlin.
In seiner Studienzeit gehörte Guttmann zum Freundeskreis um den Dichter Christian Morgenstern, möglicherweise hat er Werder bereits früh bei den zahlreichen Besuchen der »Galgenbrüder« in der Stadt kennengelernt. Guttmann lebte nach seiner Studienzeit in Berlin–Wilmersdorf und in der Villa seines Vaters in Wannsee. Im Jahr 1904 gründete er die »Gesellschaft zur Erforschung der Hirnrinde«, in der er bis 1933 Vorstandsmitglied bleiben sollte. Im Ersten Weltkrieg meldete er sich freiwillig und war dreieinhalb Jahre als Frontarzt tätig, unter anderem als Leiter eines Seuchenlazaretts. Er hat eine österreichische Kriegsauszeichnung verliehen bekommen. Neben seiner Tätigkeit als Mediziner trat er seit 1894 auch als Konzertsänger auf und spielte eine bedeutende Rolle im Arbeitersängerbund, dessen künstlerischem Beirat er angehörte und für den er verschiedene Liedersammlungen veröffentlichte. Er wurde als Bürgerdeputierter in die Deputation für Wissenschaft und Kunst der Stadt Berlin berufen und war vielfältig schriftstellerisch tätig.
Alfred Guttmann erwarb 1920 ein Haus in Werder (Am Mühlenberg 204, heute Nr. 24), in dem er in den folgenden Jahren regelmäßig die Sommermonate verbrachte. Bereits seit 1909 war er häufig nach Norwegen gereist und hatte sich dort 1927 in Brettesnes auf den Lofoten ein Haus gebaut.
In den dreißiger Jahren wohnte das Ehepaar Guttmann ständig in Werder. Im Herbst 1938 wurden dort eines Nachts mehrere Fensterscheiben durch Steinwürfe eingeschlagen. Einige Wochen später drangen in der Dunkelheit 15 – 20 bewaffnete Männer in das Haus ein und bedrohten das Ehepaar. Alfred Guttmann erklärte den Eindringlingen, dass seine Frau »arischer« Abstammung sei, und fragte, wer sie seien. Sie antworteten »Wir, wir sind das Volk«, und verschwanden wieder. Alfred Guttmann wurde am 1.11.1938 von der Polizei in Werder verhaftet und nach Potsdam gebracht. Unter der Bedingung, auszuwandern, wurde er nach einer Woche freigelassen. Gleichzeitig wurde das gesamte Vermögen beschlagnahmt.
Im Februar 1939 erhielten die Guttmanns die Einreiseerlaubnis nach Norwegen. Dort kamen sie mit jeweils 20 Reichsmark an und mussten gleich bei der Ankunft ihre Armbanduhren verkaufen. Sie zogen in ihr Sommerhaus in Brettesnes. Offensichtlich war es Alfred Guttmann gelungen, wenigstens Teile seiner umfangreichen Bibliothek und auch anderen Besitz mitzunehmen; eine Bemerkung im Vorwort seines 1949 erschienenen Buches über Goethe und die Musik weist darauf hin. Als nach der deutschen Besetzung Norwegens 1940 Verfolgungsmaßnahmen gegen deutsche Emigranten und Juden auch dort einsetzten, wurde das Ehepaar im März 1941 in seinem Sommerhaus von Angehörigen des SD der SS brutal überfallen und auf ein Schiff nach Svolvær verbracht. Von dort wurden sie in das Gefängnis Kabelvåg gebracht, wo Alfred Guttmann von denselben SD–Angehörigen, welche das Ehepaar auf der Insel verhaftet hatten, bewußtlos geschlagen wurde. Der auch am nächsten Tag noch bewußtlose Alfred Guttmann und sein Ehefrau wurden daraufhin zusammen mit norwegischen Gefangenen in ein Gefängnis nach Oslo transportiert. Dort erfuhren sie, dass sie wegen eines englischen Kommandounternehmens gegen die Lofoten (sog. »Lofotraidet« am 4.3.1941) als Geiseln genommen worden seien. Vom Gefängnis wurde Alfred Guttmann bis zum 29. Oktober 1941, also für mehr als sieben Monate, in das berüchtigte Konzentrationslager Grini bei Oslo verbracht, wo er die sehr niedrige Gefangenennummer 94 hatte. Während der letzten vier Monate seiner dortigen Gefangenschaft war auch seine Ehefrau in Grini inhaftiert.
Das Ehepaar kehrte aus Grini nach den Lofoten zurück, wurde aber unmittelbar danach in die Finnmark verbannt. Sie lebten unter primitivsten Verhältnissen in einer Gebirgshütte in Biggeluobal. Am 31.12.1941 wurde Alfred Guttmann erneut verhaftet. Er sollte nach Deutschland verbracht werden, entging dieser Deportation aber mit Hilfe eines norwegischen Kollegen, der ihm auf Grund seines angegriffenen Gesundheitszustandes Transportunfähigkeit bescheinigte und ihn in das Krankenhaus in Tromsø einwies. Während dieses Krankenhausaufenthaltes musste Eva Guttmann in das noch weiter entlegene Samendorf Masi umsiedeln. Dort musste sie im Wald für den eigenen Bedarf Holz schlagen und hat sich Rückenschäden zugezogen, die sie nie wieder los wurde. Nach der Evakuierung der Finnmark in Folge des Rückzuges der deutschen Besatzungstruppen im November 1944 gelangte das Ehepaar Guttmann wieder auf die Lofoten; ihr Ferienhaus war aber inzwischen abgerissen worden.
Alfred Guttmann erhielt 1946 die norwegische Staatsbürgerschaft – gar nicht selbstverständlich für einen Deutschen in dem gerade von deutscher Besatzungsherrschaft befreiten Norwegen – und verzog dann nach Sykkylven, einem kleinen Ort in der Nähe von Ålesund in Westnorwegen, wo er zeitweise wieder als Arzt praktizierte. In der Zeit seiner Gefangenschaft und Verbannung war nach eigener Aussage seine »seelischeRettung geistige Arbeit«; es entstanden mehrere Manuskripte, von denen nur einige noch zum Druck gelangten, darunter das 1949 in Berlin und Wunsiedel erschienene Buch »Musik in Goethes Wirken und Werken« und auf Norwegisch aus seinem Fachgebiet »Underbevissthetens gåter og problemer« [Rätsel und Probleme des Unterbewußtseins]. Alfred Guttmann verstarb am 21.12.1951 in Ålesund .
Aus der ersten Ehe Guttmanns mit der Sängerin Eugenie Leroi (29.11.1871 – 25.7.1912), die auch zum Freundeskreis um Christian Morgenstern gehörte, stammten zwei Kinder, die Tochter Hertha (geb. 23.1.1900) und der Sohn Werner (geb. 14.5.1901). Werner Guttmann–Leroi emigrierte 1939 nach Santiago in Chile, betrieb jedoch ab 1958 seine Rückkehr nach Deutschland und lebte anfangs in Berlin, später in Köln. Hertha Guttmann, verheiratete Polemann, aber seit 1936 von ihrem Ehemann Otto Polemann geschieden, emigrierte im Mai 1939 nach England und fand dort, wie die meisten jüdischen Emigrantinnen, Arbeit nur als schlecht bezahlte Hausangestellte. Sie kehrt 1957 nach Berlin zurück, lebt seit 1960 aber wieder in England, ab 1969 in Schleswig–Holstein und zieht 1972 nach Österreich, wo sie im November 1985 verstirbt.
Quellen: BLHA: Rep. 36 A (II), 3 Akten der Vermögensverwertungsstelle des OFP (nicht zugänglich), Rep. 36 A (II), F 622 (Devisenstelle); PAAA: R 99889, Bll. 4, 80–82 (Ausbürgerungsakte Alfred Guttmann); NLA: Rep. Nds. 110 W Acc. 8/90 Nr. 205/11 und 205/12; NRA: Justisdepartementet (Akten betr. Alfred Guttmann); UAHU: Med. Fak. 715 (Promotionsakte Guttmann); Deutsche Nationalbibliothek – Deutsches Exilarchiv 1933–1945, Frankfurt/M., Teilnachlaß Walter A. Berendsohn (EB 54b/7); Art.: Alfred Guttmann, in: Deutsche Biographische Enzyklopädie, Bd. 4 (1996), S. 274; Art.: Alfred Guttmann, in: H. A. Strauss – W. Röder (Hgg.), International Biographical Dictionary of Central European Emigrés 1933–1945, Vol. II, A–K, München usw. 1983, S. 441; Fritz Elsas, Ein Demokrat im Widerstand, hg. von Manfred Schmid, Gerlingen 1999, S. 164ff.; Einhart Lorenz, Exil in Norwegen. Lebensbedingungen und Arbeit deutschsprachiger Flüchtlinge 1933–1943, mit einem Vorwort von Willy Brandt, Baden–Baden 1992; Matthias Eberle, Max Liebermann 1847–1935. Werkverzeichnis der Gemälde und Ölstudien, Bd. II 1900–1935, München 1996, S. 1188; Christiane Schuchard, Wannsee–Villen der Gründerzeit […}, in: Berlin in Geschichte und Gegenwart. Jb. des Landesarchivs Berlin 1990, S. 117–134; Oskar Mendelsohn, Jødenes historie i Norge gjennom 300 år, 2 Bde., Oslo–Bergen–Tromsø 1969; Børre R. Giertsen (Hg.), Norsk fangeleksikon: Grinifangene, Oslo 1946; Christian Morgenstern, Werke und Briefe Bd. 1 ff. Stuttgart 1988ff.; Håkon Brun, Hvem var dr. Guttmann?, in: Skolp: Årsskrift for Vågan historielag, Bd. 11 (1986), S. 82–85.; Sverre Andestad, Sykkylven. Nye slekter, Sykkylven 1996, S. 21 (zu Eva Guttmann); Hartmut Röhn, Alfred Guttmann. Ein deutsches Schicksal zwischen Werder und Norwegen, in: Blütenstadt Werder (Havel) – Heimatgeschichtliche Beiträge 2014, S. 26–32.