Curt Olschowski, geb. 21.9.1894 in Berlin, 1934–1938/39 in Werder, Anfang 1939 nach Berlin verzogen, 1943–1945 illegal in Berlin, 1945–1971 wieder in Werder, verstorben am 3.9.1971 in Potsdam.
Ruth Olschowski, geb. Holzheim, geb. 11.6.1904 in Deutsch–Krone (heute Wałzc, PL), 1934–1938/39 in Werder, Anfang 1939 nach Berlin verzogen, 1943–1944 illegal in Berlin, deportiert am 12.10.1944 nach Auschwitz, dort ermordet.
Hans–Peter Olschowski, geb. 1.9.1923 in Deutsch–Krone (heute Wałzc, PL), 1934–1938/39 in Werder, Anfang 1939 nach Berlin verzogen, deportiert am 19.4.1943 von Berlin nach Auschwitz, im Januar 1945 deportiert in das KZ Dora–Mittelbau ( Nordhausen/Thür.), dort umgekommen.
Anita Olschowski, geb. 10.02.1926 in Schneidemühl (heute Piła, PL), 1934–1938/39 in Werder, Anfang 1939 nach Berlin verzogen, 1943–1944 illegal in Berlin, deportiert am 12.10.1944 nach Auschwitz, im Dezember 1944 oder Januar 1945 in das KZ Bergen–Belsen; sie hat überlebt, wohnte nach 1945 in Werder und Berlin–Schöneberg, wanderte 1948 nach Israel, 1957 in die USA aus und verstarb am 19.5.2012 in Chicago.
Heinz Olschowski, geb. 17.1.1937 in Werder, lebte bis 1938/39 in Werder, Anfang 1939 nach Berlin verzogen, 1943–1948 illegal in Polen, 1948 Rückkehr nach Werder, verstorben am 23.8.1998 in Plauen/V.
Adresse in Werder: Brandenburger Straße 20.
Curt Olschowski wurde 1894 als Sohn eines Kaufmanns in Berlin geboren, besuchte dort das Gymnasium bis zum Abschluss der 10. Klasse (»Obersekundareife«), begann dann eine kaufmännische Lehre in einem Berliner Exportgeschäft und blieb bis zum Beginn des 1. Weltkrieges in Berlin. Von 1914 bis 1919 war er Soldat und zog noch 1919 nach Schneidemühl in Westpreußen und arbeitete dort zunächst bis 1925 in einem Speditionsgeschäft, danach in einem Kaufhaus, wo er es bis zum Geschäftsführer brachte. 1922 heiratete er in Deutsch–Krone – auch Westpreußen – Ruth Holzheim, 1923 wurde der älteste Sohn der Familie, Hans–Peter geboren, 1926 die Tochter Anita. 1934 wurde Curt Olschowski als sog. »Volljude« in Schneidemühl entlassen, und die Familie zog nach Werder, wo Curt Olschowski in der Brandenburger Straße 20 in den ehemaligen Geschäftsräumen der Firma Lemer & Lipiner ein Textilgeschäft eröffnete. 1937 wurde in Werder der zweite Sohn der Familie geboren, Heinz Olschowski. Hans–Peter und Anita Olschowski waren, während die Familie in Werder wohnte, Schüler der hiesigen Mittelschule.
Offensichtlich um der durch eine Verordnung vom 17.8.1938 erzwungenen Annahme der Zusatznamen »Israel« für männliche und »Sara« für weibliche Juden zu entgehen, hatten die Olschowskis andere Vornamen angenommen. Die angeblich als »typisch jüdisch« geltenden Vornamen waren in einer Liste des Preußischen Ministeriums des Innern vom 24.8.1938 aufgeführt. So wurden Curt zu Berl, Ruth zu Bela, Hans–Peter zu Bud, Anita zu Zilla und Heinz zu Lupu Olschowski; Namensänderungen, die – wie auch die Zwangsvornamen – standesamtlich eingetragen werden mußten.
Das Geschäft der Olschowskis wurde, wie auch andere jüdische Firmen und Privathäuser in Werder, in dem Novemberpogrom nach dem 9.11.1938 verwüstet, vermutlich am 11. November. Ein Protokoll über die angerichteten Schäden hat sich im Stadtarchiv Werder erhalten. Curt Olschowski wurde, wie Tausende andere jüdische Männer auch, im November 1938 in das KZ Sachsenhausen eingeliefert und von dort Anfang Dezember wieder entlassen. Die Familie muß nach der Zerstörung ihres Geschäftes und des Verbots der Geschäftstätigkeit für Juden, mithin der Vernichtung ihrer bürgerlichen Existenz, und der KZ–Haft des Vaters keine Existenzmöglichkeit mehr in Werder gesehen haben und zog, wie auch viele andere Juden aus Kleinstädten der Mark, nach Berlin, wo Curt Olschowski als Zwangsarbeiter im Eisenbahnbau arbeiten mußte.
Auf dem Höhepunkt der Deportationen der Berliner Juden in die Gettos und Vernichtungslager in Polen 1942/43, tauchte die Familie im Februar 1943 in die Illegalität ab. Die Söhne Hans–Peter und Heinz wurden bei einer polnischen Familie in Bredow bei Nauen versteckt. Hans–Peter muß aber bald darauf ergriffen worden sein, denn er wurde am 19.04.1943 mit dem 37. Osttransport aus Berlin nach Auschwitz deportiert, dort nicht ermordet, sondern bei der Räumung des Lagers im Januar 1945 mit einem großen Häftlingstransport in das KZ Dora–Mittelbau, die Produktionsstätte der V 1 und V 2, nach Thüringen deportiert, wo sich seine Spur verliert. Vermutlich ist er dort oder bei der Räumung auch dieses Lagers Ende April auf einem der berüchtigten Todesmärsche ums Leben gekommen. Heinz Olschowski gelangte mit der polnischen Familie aus Bredow 1943 nach Polen, von dort kehrte er erst 1948 nach Werder zurück.
Ruth Olschowski kam zunächst im Haushalt einer holländischen Familie in Berlin unter. Sie wurde aber, ebenso wie die Tochter Anita, im August 1944, als fast alle Berliner Juden längst in die Vernichtungslager in Polen transportiert worden waren, aufgegriffen, ob durch Verrat oder andere Umstände weiß man nicht, und am 12. Oktober mit dem 58. Osttransport, dem letzten der aus Berlin nach Auschwitz abging, deportiert. Ruth Olschowski wurde offenbar sofort oder kurz darauf umgebracht, der Tochter Anita blieb dieses Los erspart, sie wurde Ende 1944 /Anfang 1945 in das KZ Bergen–Belsen deportiert und ist dort vermutlich durch die Engländer befreit worden. Nach einer unsicheren anderen Angabe könnte sie mit einem Transport von Bergen–Belsen noch in das Lager Salzwedel, ein Außenlager des Konzentrationslagers Neuengamme, gelangt sein. Nach dem Krieg hat Anita Olschowski noch in Werder und Berlin–Schöneberg gewohnt und ist 1948 zunächst nach Israel und 1957 von dort in die USA ausgewandert, 1962 erwarb sie die US–amerikanische Staatsbürgerschaft.
Curt Olschowski überlebte die NS–Herrschaft im Untergrund in Berlin und kehrt 1945 nach Werder zurück. In einem 1947 verfaßten Lebenslauf schildert er das Schicksal seiner Familie und schreibt u. a. »mein jüngster Sohn befindet sich noch illegal in polnisch besetztem Gebiet mit unbekanntem Aufenthalt«; in einem zweiten Lebenslauf von 1949 erwähnt er dessen Rückkehr nach Deutschland im Jahr 1948. Heinz Olschowski wird später Offizier in der NVA der DDR, zuletzt im Rang eines Oberstleutnants. Er heiratet 1958 in Altensalz im Vogtland und verstirbt 1998 in Plauen – er wäre für unser Projekt ein wichtiger und interessanter Zeitzeuge gewesen.
Curt Olschowski kehrt in Werder in seinen alten Beruf als Speditionskaufmann zurück, indem er im September 1945 als Treuhänder die Geschäfte der beschlagnahmten Spedition Fitzner in der Eisenbahnstraße 175 übernimmt. Diese Spedition hatte bis Ende 1936 auch einem jüdischen Besitzer gehört, nämlich Willi Rosenberg, war dann weit unter Wert erzwungenermaßen verkauft worden, und Willi Rosenberg emigrierte im Frühjahr 1938 nach Argentinien. Im Juni 1947 richtet Curt Olschowski einen Antrag an den Magistrat der Stadt Werder auf »Erwerb dieses Betriebes einschließlich Grundstück«, was sich aber dadurch erledigt, dass die Firma 1948 in einen VEB überführt wird.
Curt Olschowski war seit seiner Zeit in Schneidemühl Mitglied der SPD, nach dem Krieg Mitglied der KPD und dann SED–Mitglied. 1949 hat er »im Auftrage der Partei« mehrere Funktionen inne: »Gemeinderat der Stadt Werder (Dezernat Sozialamt), Kreisrat für Verkehr des Kreises Zauch–Belzig und Vorsitzender des Verwaltungsrates des K.W.U. Werder«.
In einer vertraulichen Beurteilung des Rates des Kreises Zauch–Belzig, Innere Verwaltung, Abt. Personal und Schulung vom Oktober 1949 heißt es über ihn:
Ideologisch nicht klar. Kann sich nicht von der früheren SPD lösen. Kleinbürgerliche Einstellung. Die ihm übertragenen Aufgaben im Dezernat Verkehr löst er zur Zufriedenheit. Geistig über dem Durchschnitt, umsichtig und gewandt. Ruhig und zuvorkommend«. Und unter der Rubrik Entwicklungsgrad: »In fachlicher Hinsicht seinen derzeitigen Aufgaben gewachsen. Politische Schulung wäre dringend notwendig, jedoch kaum noch erfolgsversprechend. In der Verwaltung seinen höchsten Entwicklungsgrad erreicht, zumal er die Arbeit in seinem eigenen Betrieb in den Vordergrund stellt.
Diese Beurteilung hat allerdings nicht verhindert, dass Curt Olschowski 1958 Bürgermeister von Werder wurde, was er bis 1961 blieb – ein Abschnitt seiner Biographie, mit dem wir uns nicht beschäftigt haben. Als Speditionsbetreiber und Bürgermeister hat Curt Olschowski, ohne Namensnennung, jedoch unzweifelhaft, Eingang gefunden in die Lebenserinnerungen von Willi Hanke, der von 1949–1954 Pfarrer in Werder war, und die dessen Tochter in den Heimatgeschichtlichen Beiträgen 2010 veröffentlicht hat:
Ich erinnere mich, eine richtige Möbelspedition in Werder bekommen zu haben, die die beiden Waggons dann ausräumte und ins Inselpfarrhaus transportierte. Sie waren entsetzt über die Fülle und Qualität des Krempels, der den weiten Weg vom Bahnhof auf die Insel und dann ins Haus geschafft werden musste. Der Chef der Firma war ein Jahr später unser Bürgermeister, aber er packte an und sie rackerten sich furchtbar ab. Zum Glück hatte ich für diesen Zweck die große Kiste Bücklinge gekauft, mit denen wir die Armen bei Laune halten konnten […]
Nach seinem Ausscheiden aus dem Amt des Bürgermeisters hat Curt Olschowski noch zehn Jahre in Werder gelebt, er verstarb am 3.9.1971 in Potsdam. Er hinterließ seine Frau, die er 1949 in zweiter Ehe geheiratet hatte, und einen Sohn aus dieser Ehe.
Seit Oktober 2014 liegen vor dem Haus Brandenburger Straße 20 zwei Stolpersteine für Ruth und Hans–Peter Olschowski.
Quellen: BArch: Gedenkbuch […]; BLHA: Rep. 2 A I HG Nr. 211, Rep. 36A (II), Nr. 28754, Rep. 203 MdI Nr. PA 154, Ld. Br. Rep. 250 Landratsamt Zauch–Belzig Nr. 456, Bl. 61ff., Rep. 401 VdN Nr. 2970, GA Werder, Bd. 6, Bl. 464; ITS: Auskunft v. 16. 2. 2015; Mitteilung Gedenkstätte Sachsenhausen vom 16. 4. 2010; SAW: Schadensliste v. 28. 1. 1939; BStU: ASt GA Bd. 40, Bll. 10–13 (Aussage Curt Olschowski, 1963); Hartmut Jäckel – Hermann Simon (Hgg.), Berliner Juden 1941. Namen und Schicksale. Das letzte Amtliche Fernsprechbuch der Reichspostdirektion Berlin, Teetz 2007 (Liste jüdischer Vornamen); Dorothee Geßner, Erinnerungen meines Vaters Willi Hanke an seine Zeit in Werder, in: Blütenstadt Werder (Havel) – Heimatgeschichtliche Beiträge 2010, S. 56–63.